Mumienbinden mit Totenbuchsprüchen sind keine Besonderheit in der ptolemäischen Zeit und auch im Museo Egizio in Turin befinden sich mehrere Exemplare. Die Mumienbinde des Monthemhat Turin Cat. 1873.2 ist allerdings von der Masse insofern hervorzuheben, als dass es sich hierbei zum einen um das „mutmaßlich späteste Zeugnis für Totenbuch-Texte auf Mumienbinden“1 handelt und hiermit zum anderen ein weiterer Beleg für die Zusatzkapitel 174 und 173 vorliegt. Mit Ausnahme von pLeiden T31 sind die Zusatzkapitel 173 und 174 des Totenbuches weitestgehend unbelegt, wodurch die Mumienbinde des Monthemhat einen durchaus zentralen Stellenwert für die Totenbuchforschung einnimmt resp. einnehmen wird – insbesondere, wenn man bedenkt, dass die Totenbuchsprüche auf dem Leidener Papyrus mit Ausnahme von Pleytes Edition von 1881 unpubliziert sind.2

Ziel des Beitrages ist es, die Texte auf der Mumienbinde zugänglich zu machen, um sich in der zukünftigen2 Totenbuchforschung auch mit der Situierung der Zusatzkapitel 173 und 174 auseinandersetzen zu können.3 Wie gezeigt werden soll, handelt es sich hierbei mit großer Wahrscheinlichkeit um Texte, die ursprünglich aus dem Osiriskult stammen und wohl erst in ptolemäischer Zeit in das Totenbuch-Korpus integriert wurden.4

Generelle Bemerkungen

Die Mumienbinde (Abb. 1a + 2) gelangte 1824 mit zahlreichen anderen Objekten der Sammlung Drovetti nach Turin. Sie besteht heute aus zwei Teilen, die modern zusammengenäht worden sind; die Länge des ersten Streifens beträgt 382 cm, die des zweiten ca. 55 cm; die Überlappung misst ca. 1 cm. Somit ergibt sich eine Gesamtlänge von 436,0 cm und eine durchschnittliche Höhe von 3,5 cm. Anfang und Ende des ersten Bindenstreifens weisen einen glatten Schnitt auf, während der Anfang des zweiten Streifens ausgefranst ist. Das Ende des zweiten Streifens wurde zudem – ebenfalls modern – ca. 1 cm umgeklappt. Beim Zusammennähen der beiden Streifen wurde keine Rücksicht auf den Text genommen, weshalb der Name des Besitzers am Anfang des zweiten Bindenstreifens teilweise überdeckt ist. Es ist recht unwahrscheinlich, dass die beiden Abschnitte ursprünglich an dieser Stelle direkt zusammengeschlossen waren, denn der Text auf dem ersten Streifen endet abrupt mit Tb-Spruch 133 während der zweite Streifen mit Tb-Zusatzspruch 173 fortfährt. Die Textilbeschaffenheit spricht allerdings dafür, dass beide Streifen zumindest zur gleichen Binde gehören. Es gibt Belege für schmale Mumienbinden mit einer Textzeile, die bis zu 800 cm lang sind.5 Dementsprechend könnte zwischen den Sprüchen 133 und 173 (Pleyte) mindestens ein weiteres Kapitel gestanden haben. Es gilt allerdings zu bedenken, dass diese beiden Sprüche die Fahrt in der Sonnenbarke thematisieren und somit inhaltlich gut zusammenpassen. Unklar bleibt, wann die Mumienbinde zerschnitten wurde resp. die beiden Abschnitte zusammengenäht worden sind. Naheliegend ist die Überlegung, dass dies entweder beim Auswickeln der (heute verlorenen) Mumie erfolgte oder Anfang des 19. Jahrhunderts auf dem Antikenmarkt, um mehrere Teile verkaufen zu können.6

Mumienbinde Cat. 1873.2 – Schriftseite. Foto: Nicola Dell'Aquila/Museo Egizio.

Mumienbinde Cat. 1873.2 – Schriftseite. Foto: Nicola Dell’Aquila/Museo Egizio.

Mumienbinde Cat. 1873.2 – Hieroglypische Umschrift.

Abb. 1b

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Mumienbinde Cat. 1873.2 – Hieroglypische Umschrift.

Mumienbinde Cat. 1873.2 – Rückseite. Foto: Nicola Dell'Aquila/Museo Egizio.

Mumienbinde Cat. 1873.2 – Rückseite. Foto: Nicola Dell’Aquila/Museo Egizio.

Die Mumienbinde weist vereinzelt schwarze Flecken auf, bei denen es sich um Rückstände von Bitumen handelt. Zudem sind insbesondere am Anfang und am Ende des ersten Streifens sowie am Ende des zweiten Streifens braune Verfärbungen erkennbar, die recht wahrscheinlich ebenfalls auf Balsamierungsflüssigkeiten zurückzuführen sind.7

Wenngleich die Mumienbinde bisher unpubliziert gewesen ist, so war sie keineswegs unbekannt. Sie ist bereits bei Fabretti8 verzeichnet und von Quaegebeur9 sowie Coenen10 besprochen worden und in Folge dessen bei Kockelmann11 mit aufgenommen. Unter der Inventarnummer 1873 sind bei Fabretti zwei Textilstreifen verzeichnet: zunächst die Binde des Monthemhat gefolgt von der Binde eines Hpt-wDA.t-Priesters namens PA-Srj-tA-jH.t.12 Dieser Umstand führt dazu, dass die Binde des Monthemhat in der Forschungsliteratur zumeist unter der Inventarnummer Turin 1873.1 angeführt wird, doch tatsächlich inventarisiert ist sie heute als Cat. 1873.2.

Die Binde weist auf einer Seite eine einzelne hieratische Textzeile auf. Die Paläografie der durchschnittlich 1,15cm hohen Zeichen entspricht am ehesten den Charakteristiken der fortgeschrittenen ptolemäischen3 bis frühen römischen Zeit. Aufgrund der Textilstruktur nicht immer eindeutig voneinander zu unterscheiden sind die hieratischen Schreibungen für (Y1) (X1) und (N23). Weiterhin zu erwähnen ist, dass der Schreiber gelegentlich (G7) zu (Z1) verkürzt und (N5) stets ohne Punkt schreibt.

Bei Kockelmann sowie im Totenbucharchiv findet sich die Angabe, dass die Binde (Abb. 1a) neben den Totenbuchspruch 130 einen nicht identifizierten Text außerhalb des Totenbuchs trägt.13 Die Möglichkeit, den Originaltext studieren zu können, ergibt allerdings eine andere Identifizierung der Sprüche: es handelt sich zum einen um den Totenbuchspruch 174 – Zusatzkapitel nach Pleyte – und zum anderen um den seit dem Neuen Reich belegten Totenbuchspruch 133 mit dem Ende von Zusatzkapitel 173.

Transliteration und Übersetzung

Spruch 174 (Pleyte) (Taf. 1)

Der erste Abschnitt der Mumienbinde beinhaltete das Zusatzkapitel 174 des Totenbuchs. Die m.W. einzige publizierte Parallele dieses Spruches findet sich auf dem ptolemäerzeitlichen Papyrus der 6A-Srj.t-tA-jH.t im Rijksmuseum van Oudheden zu Leiden (pLeiden T 31, Kol. IV, Z. 35–43),14 wobei die beiden Fassungen leicht voneinander abweichen. Das zentrale Motiv des Spruches ist die Regeneration der Sinnesorgane des Verstorbenen, konkret der Augen, Ohren, Nase und Zunge. Die Aktivierung der Atemfähigkeit scheint von besonderer Bedeutung zu sein, denn die Nase des Verstorbenen wird mit der des Nefertem identifiziert. Die Erwähnung des Nefertem passt gut in den Kontext der Restitution, wird dieser Gott doch mit dem Lotos verbunden, dem wohl wichtigsten Symbol für Regeneration und Wiederauferstehung im Jenseits.15 Die Aktivierung der Sinnesorgane wie auch die am Ende des Spruches erwähnte Gliedervereinigung ist ein Ziel der Balsamierung und auf eben diese Situation wird hier durch Anubis als Rezitator verwiesen. Gerade hieraus ergibt sich der Eindruck, dass der Zusatzspruch 174 aus dem Osiriskult übernommen wurde resp. aus dem Textbestand osirianischer Ritualkompositionen schöpft, welche insbesondere im späten 4. sowie 3. Jh. v. Chr. für den Verstorbenen adaptiert worden sind, die insgesamt doch weitaus älter sind.16 Dies wird zudem daran deutlich, dass der Verstorbene sowohl im Spruchtitel als auch in der Nachschrift zu Zusatzkapitel 174 auf pLeiden T 31 als pA xnt.j-jmn.tjw „der Chontamenti“ angerufen wird, wobei es sich um das klassische Epitheton des Gottes in Osirisliturgien handelt.

[…]tr. a) Dd jn Jnpw b)wa-wa.w c) nTr-wa.w sAw jw.tj sn.nw=f d)nb jr.tj e) dgA jm=fnb anx.wjqni n=f m ssn f) m anx wAsjw fn[D ..] m Nfr-tmrx Ss(r) g)dy h) tn jb=fan smj n hA(b) s(w) n=f i)sSm=k a.wt nb(.wt) n wsjrMnTw-m-HA.t mAa-xrw ms.n Ns-tA-nTr.t-tn j)mAa-xrw r <s.t> jr.y.w=sn k)nn tSi=sn l) r=f D.t […]tr. Zu sprechen durch Anubis:Allereinziger, einziger Gott, Schützer ohneseinesgleichen;4Herr der beiden Augen, die mit ihm sehen;Herr der beiden Ohren;dem Kraft gehört beim Atmen in Leben undWohlergehen,indem [seine] Nase die des Nefertem ist;der kennt den Gedanken und jene Obliegenheitseines Herzens;der die Anklage umwendet, gegen den, der sieaussendet gegen ihn. Mögest du leiten alle Glieder des Osiris desMonthemhat, gerechtfertigt, geboren vonNestanetjeretten, gerechtfertigt,zu ihrem entsprechenden Platz.Nicht werden sie sich abwenden von ihm ewiglich!

a) Am Anfang sind noch Farbspuren erkennbar, die allerdings aufgrund der braunen Verfärbung keine sichere Zeichendeutung zulassen. Gemäß der Parallele pLeiden T 31 ist das Wort saH zu erwarten, womit der Spruchtitel endet.

b) Die leicht geschwungene Form des hieratischen Zeichens am Ende des Götternamens entspricht im Grunde vielmehr w statt (G7).

c) Die Form des zweiten Harpunenzeichens (T21) sieht vielmehr wie (O29) aus, doch der mit dem w verbundene Hacken am Ende macht die eigentliche Bedeutung klar. Ebenso ist das dritte wa-Zeichen nur aus dem Kontext heraus als solches zu verstehen, denn der Hacken und der Ideogrammstrich bilden ein Zeichen.

d) Die Abfolge der Epitheta des Osiris-Chontamenti stimmt mit der in pLeiden T 31 überein, dort fehlt allerdings die Gruppe nach nTr-wa.w, die sehr wahrscheinlich sAw „Schützer, Wächter“ (Wb III, 418.1–4) zu lesen ist. Zur dieser Bezeichnung des Osiris vgl. LGG VI, 125c–126a und ferner Töpfer, Das Balsamierungsritual, 81 (Kom. x).

e) Konkret die beiden Udjat-Auge sind gemeint. Die Parallele pLeiden T 31 schreibt phonetisch wDA.tj.

f) Die eher ungewöhnliche Schreibungdes Verbs snsn „atmen“ ist hervorzuheben, da die Grafiken undgeläufiger sind; vgl. Wb IV, 172.2–10; 277.9–16. Zudem zu betonen ist die hieratische Form von (O34), da diesevielmehr der Buchrolle gleicht.

Der Text der Mumienbinde weicht an dieser Stelle von pLeiden T 31 ab, dort: anx.wj qni sDm sni=k „die beiden Ohren sind tüchtig/tapfer beim Hören, mögest du riechen …“. Es mag sein, dass m hier eine defektive Schreibung für sDm ist; in diesem Falle müssten statt einer sDm.n=f-Form eine Genitiv-Konstruktion sowie eine Relativform angesetzt werden: nb anx.wj qni n=f <sD>m sns(n) m… „Herr der beiden Ohren, die tüchtig/tapfer sind für ihn beim Hören, der atmet in…“.

g) Zu Ssr in der Bedeutung „Ausspruch, Gedanke“ insbesondere des Herzens siehe Wb IV, 548.8–13.

h) In der Übersetzung von dy mit „Obliegenheit“ folge ich einem der Reviewer, der diese durchaus sinnvolle Lesung vorschlägt im Hinblick auf rd (Wb II, 463.13), demot. rv (CDD R, 80–81) „Position, Stellung“. Die Parallele pLeiden T 31 schreibt unklares, wohl beeinflusst von jAT „schmerzen, verletzt sein“ (Wb I, 34.21–22). Dort steht zudem m jb=f.

i) Die Parallele pLeiden T 31 hat nur hAb=f. Das Epitheton steht wohl im Zusammenhang mit der mythologischen Episode um die Rechtfertigung des Osiris gegen seine Feinde, insbesondere Seth.

j) Der Name der Mutter ist an dieser Stelle leicht verschrieben; das Personen-determinativ steht vor tn.

k) Die Parallele hat r sAw=sn. Dementsprechend ist man geneigt zunächst r jry sAw=sn „die zur ihrer Bewachung Gehörigen“ o.ä. zu lesen. Womöglich liegt hier aber auch eine unvollständige Schreibung für r <s.t> jr.y.w=sn „an ihrem entsprechenden Platz“ vor, was zumindest inhaltlich sinnvoll wäre, denn gemeint ist sicherlich die Gliedervereinigung. Konkret geht es wohl um die richtige Positionierung der oben genannten Bestandteile des Kopfes (Augen, Ohren, Nase) und damit um die Versammlung aller5 Glieder des Osiris resp. des mit diesem assoziierten Verstorbenen. Zu den Osirisgliedern siehe Z. 45–46 und 54–59 des Choiaktextes von Dendara sowie pJumilhac Kol. III.19–IV.28 und ferner pRhind 1, Kol. III.h3–5; hierzu mit Referenzen Töpfer, Das Balsamierungsritual, 235.

l) Die Parallele pLeiden T 31 hat Hri „sich entfernen“ statt tSi, doch ansonsten sind die Schlussverse gleich.

Spruch 133 (Taf. 2)

Der zweite Textabschnitt ist eine verkürzte Fassung von Totenbuchspruch 133, in dessen Mittelpunkt die Teilnahme des Verstorbenen am täglichen Sonnenlauf steht, was zur Gewährleistung der ewigen Fortexistenz unabdingbar gewesen ist. Im zweiten Textabschnitt spielt abermals das Motiv der Gliedervereinigung und Erneuerung eine zentrale Rolle, diesmal konkret des Re, mit welchem der Verstorbene im Spruch identifiziert wird (pTurin Cat. 1791): wsjr NN wDA mj Ra „Osiris des NN ist heil wie Re“ oder hy hnw n wsjr NN mAa-xrw Ha.w-nTr n Ra „Jauchzen und Jubel dem Osiris des NN, dem Gottesleib des Re“.

Im Hinblick auf die Epitheta „Herr der beiden Augen“ und „Herr der beiden Ohren“ im zuvor genannten Zusatzkapitel 174 ist hervorzuheben, dass gerade die Restitution der Augen und Ohren in Tb 133 des Verstorbenen gepriesen wird (pTurin Cat. 1791): nfr.wj mAA m jr.tj sDm m msDr.wj „wie schön ist es, mit den Augen zu sehen und mit den Ohren zu hören“.

Dd-mdw n wsjrMnTw-m-HA.t mAa-xrw ms.nNs-tA-nTr.t-tn mAa-xrw pn a)xai Ra m Ax.t=fpsD.t=f m-x.t=fm pri nTr m s.t-jmn.txr sdA.w m Ax.t jAb.tj n.t p.t Hr xrwAs.t b)sDsr.n=s{w} c) wA.t n Ra tp-a wrTsi tw jr=k Ra m k(A)r=f d)nsb=k TAw.w[am] e) =k mHy.tam=k bskjbT=k hrw f)sn=k MAa.tpsS=k Sms.wnai=k nn.twHm wr.w Hr xrw=kjp=k qs.w=ksAq=k a.wt=kdi=k Hr=k r jmn.t nfr.tjwi=k jmy mAw.tw ra-nbtwt js pwy n nbw jtn p.t […]g) Rezitation durch Osiris desMonthemhat, gerechtfertigt, geboren vonNestanetjeretten, gerechtfertigt, diesen:Es erscheint Re in seinem Horizont,seine Neunheit ist hinter ihm,6wenn der Gott herauskommt aus dem geheimenPlatz.Es fällt ein Zittern nieder im östlichen Horizont desHimmels auf die Stimme der Isis hin.Sie hat den Weg prächtig sein lassen für Re, dengroßen Vorfahren.Erhebe dich doch, Re, in seinem Schrein!Mögest du verschlingen die Winde.Mögest du verschlucken den Nordwind.Mögest du verschlucken das Herz.Mögest du einfangen den Tag.Mögest du küssen die Maat.Mögest du teilen das Gefolge.Mögest du befahren den GegenhimmelMögen die Großen (das Gesagte) wiederholen aufdeine Stimme hin.Mögest du deine Knochen zählen.Mögest du deine Glieder zusammenfügen.Mögest du dein Gesicht dem schönen Westenzuwenden.Mögest du dorthin kommen, indem du täglicherneuerst wirst.Du bist schließlich dieser aus Gold, die Scheibe desHimmels […]

a) Das Demonstrativpronomen bezieht sich auf den Verstorbenen.

b) Es steht tatsächlich ein weiteres – redundantes – t nach dem Göttinnendeterminativ. Die Versionen des Neuen Reiches haben statt „Isis“ vielmehr „Nut“, die Personifikation des Himmels. Betrachtet man die ursprüngliche Bedeutung des Spruches dann wird deutlich, dass der Sonnenaufgang im Osten mit der Geburt des Re durch Nut verglichen wird, die – einer Gebärenden entsprechend – dabei wohl Klagegeschrei ausstößt, was hier mit der „Stimme“ gemeint sein dürfte. In den späten Texten liegt der Schwerpunkt offensichtlich auf dem Aspekt der Klage, denn im Osiriskult gilt Isis als Klagefrau par excellence. Siehe hierzu auch die Ausführungen von Pries, Stundenwachen, 116–117 zu r/Hr xrw=f „auf meine Stimme hin“ und dem semantisch ähnlichen r/Hr jwj=f „auf meine Klage hin“.

c) Die Parallelen haben sDsr.n=s „sie hat prächtig gemacht/ausgestattet“. Dementsprechend sollte sw hier als späte Schreibung für s angesehen werden.

d) Das Suffixpronomen =f ist nur sehr schwach zu erkennen, da der Schreiber erst nach dem Vers neu in die Farbe eintaucht. Die Parallelen schreiben jmj „befindlich in (seinem Schrein)“. Gemeint ist der Sonnengott in seinem Pavillon auf der Barke.

e) Der Text ist hier aufgrund der Bitumenreste unleserlich. Ergänzung nach den Parallelen.

f) Da Ra selbst hier angesprochen wird, ist die Gruppe vielmehr hrw „Tag“ statt ra „Sonne“ zu lesen.

g) Der gesamte Vers ist verkürzt wiedergegeben, es müsste heißen (nach pTurin Cat. 1791): Twt js twt pw n nbw Xr smA.w n jtn m p.t Xr sdA „Du bist schließlich dieses Abbild aus Gold unter den Zweigen der Scheibe im Himmel unter Zittern.“ Die hieratische Schreibung des Personalpronomens twt (Wb V, 360.5–9) entspricht der Grafie für twt „Abbild“ (Wb V, 255.8–256.20), was nicht ungewöhnlich ist für späte Schreibungen. Unklar ist, wie der Text weitergeht, denn die Binde ist an dieser Stelle zu Ende und der nächste Streifen, der modern angefügt wurde, setzt mit dem Namen des Nutznießers ein.

Spruch 173 (Pleyte) (Taf. 3)

Das Thema des kurzen Zusatzkapitels 173 ist ebenfalls die Gliedervereinigung und somit die Vervollständigung des Körpers. Der Hintergrund des Spruches ist die Erscheinung des regenerierten Gottes resp. Verstorbenen mit der Sonne bei Tagesanbruch, worauf anhand des Spruchtitels geschlossen werden kann (pLeiden T 31, Kol. IV, Z. 29–30): rA n di.t pri pA Sn.w n ra tp n nA ms.w 1r r dwA.t „Spruch um zu veranlassen7, dass der Umkreis der Sonne herauskommt an der Spitze der Horuskinder zur Grabkammer.“ Es sind die Horuskinder, welche die Mumie am Ende der Nachtwache am Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen von der Balsamierungshalle zum Grab tragen.17 Der Kontext des Spruches ist demzufolge die Stundenwachen,18 konkret die erste Tagesstunde dürfte gemeint sein, denn im Text heißt es (pLeiden T 31, Kol. IV, Z. 30–32): j 1r nb pH.ww jni.n=k nn gmi.n=k nn wnw.t=k wn jt=k Htm m (j)x.t=f „Oh Horus, Herr der Enden (des Landes), du hast diese gebracht, du hast diese gefunden zu deiner Stunde des Öffnens. Dein Vater ist vervollständigt mit seinen Reliquien.“ Es bestehen zweifellos Anklänge an die osirianischen Stundenwachenriten, in denen Horus zum Schutz seines Vaters agiert, weshalb auch Zusatzkapitel 173 aus dem Osiriskult übernommen worden sein dürfte.19 Den Text auf Tb 133 folgen zu lassen ist schließlich plausibel, da beide Sprüche die körperliche Restitution sowie die Erscheinung resp. Vereinigung mit dem Sonnengott in seinem täglichen (Re) und nächtlichen (Atum) Aspekt thematisieren.20 Somit kann die Vermutung aufgestellt werden, dass auf dem verlorenen Teil des Textilstreifens der Anfang von Zusatzkapitel 173 und vielleicht noch ein Abschnitt von Tb 133 gestanden haben könnte.

[MnTw]a)-m-HA.t mAa-xrw ms.nNs-tA-nTr.t-tn mAa-xrwtm jwf=f jm=sn b) m jtm c)nn-wnn jAb=sn r=f n-D.t-D.t [Month]emhat, gerechtfertigt, geboren vonNestanetjeretten, gerechtfertigt.Vollständig ist sein Fleisch durch sie wie Atum.Nicht sollen sie zurückweichen von ihm ewiglich!

a) Hier schließt der zweite Textilstreifen mit dem Ende von Spruch 173 (Pleyte) an, der mit dem Namen des Nutznießers beginnt. Der Streifen wurde modern ohne Rücksichtnahme auf den Text zusammengenäht und vom ersten Namensbestandteil MnTw ist lediglich das Götterdeterminativ noch erhalten, das allerdings vom ersten Streifen überdeckt ist.

b) Mit =sn sind die Gaben gemeint, die Horus zu Beginn von Tb 173 (Pleyte) zum Schutz des Verstorbenen heranbringt. Gemäß pLeiden T 31 handelt es sich hierbei um jx.t, eine Bezeichnung der „Opfergaben“ aber auch der „Reliquien“. Da sowohl in Tb 174 (Pleyte) wie auch in Tb 133 die Wiederherstellung der Sinnesorgane und die Gliedervereinigung zentrale Themen sind, dürfte sich das Pronomen auf die Körperteile beziehen.

c) Bereits in den Pyramidentexten werden der Leib bzw. einzelne Glieder – mit Ausnahme des Gesichts – des Verstorbenen (Königs) mit Atum identifiziert; vgl. PT 213 (§134a–135c), PT 537 (§1298b), PT 690 (§2098a). Eine Passage in PT 215 enthält eine „Gliedervergottung“ (§148a–149c), in welcher die Augen und Ohren des Verstorbenen mit den beiden Kindern des Atum (Schu und Tefnut) gleichgesetzt werden, was insofern von Interesse ist, als dass gerade diese beiden Sinnesorgane in Tb 174 (Pleyte) und Tb 133 eine wichtige Rolle einnehmen.

Besitzer

Der Besitzer der Mumienbinde trägt den NamenMnTw-m-HA.t (PN I, 154.7; DemNB, 597) und er wird insgesamt dreimal genannt, stets in Verbindung mit seiner MutterNs-tA-nTr.t-tn (PN I, 179.19). Mit Ausnahme der Verstorbenenbezeichnung wsjr sind keine Titel wiedergegeben. In der Forschung wird der Besitzer der Mumienbinde mit dem Besitzer des Funerärpapyrus Tübingen 201621 namens Monthemhat gleichgesetzt, da der Name seiner Mutter ebenfalls Nestanetjeretten8 lautet. Die Gleichsetzung erfolgt allein aufgrund des Mutternamens, denn die Belege sind in der griechisch–römischen Zeit überschaubar;22 lediglich auf der Mumienbinde Turin Cat. 1873.2 und pTübingen 2012 kommt diese Filiation vor. Als ein weiteres Indiz für eine mögliche Identifikation der Besitzer ist der Charakter der Texte auf dem Textil sowie dem Papyrus anzuführen. Papyrus Tübingen 2012 beinhaltet eine singuläre Textkomposition bestehend aus Totenbuchsprüchen, einem Götterdekret sowie einer Kurzfassung vom „Buch vom Atmen“. Das Dekret (Kol. XIII.7–8) richtet sich an Osiris-Wennefer, Verfasser des Textes war ursprünglich Amun-Re. Dieser wird nicht namentlich genannt, doch folgen nach dem Namen des Osiris-Wennefer die typischen Epitheta des Amun, die hier aber mit den Osiris-Bezeichnungen verschmelzen. Das Dekret leitet Sprüche aus dem Umkreis der „Bücher vom Atmen“ ein, die mit dem Wunsch nach Teilnahme am Dekadenfest beginnen (Kol. XIII.9–10), wodurch die Verortung nach Theben deutlich wird. Monthemhat hat sich mit pTübingen 2012 demzufolge eine durchaus innovative Textkomposition mit ins Grab genommen. Und auch für die Beschriftung der Mumienbinde wird der Kanon an Totenbuchsprüchen durchbrochen, indem mit den Zusatzkapiteln 173 und 174 Texte aus dem Osiriskult auswählt wurden, die in adaptierter Form in das Totenbuch-Korpus integriert werden. Die Tatsache, dass zwei Funerärobjekte belegt sind, die einem Mann namens Monthemhat geboren von einer Frau namens Nestanetjeretten zugeordnet werden können, und die sich beide im Textbestand insofern von geläufigen Totenbuchhandschriften unterscheiden, als dass sie „neue“ Texte integrieren, spricht m.E. für die Hypothese, in dem Besitzer beider Objekte die gleiche Person zu sehen.

Für die zeitliche Verankerung beider Textabschriften ist schließlich noch zu bemerken, dass pTübingen 2012 mit einer Genealogie endet, in welcher Monthemhat sechs Generationen von Priestern des Min sowie des Amun aufzählt. Die Familienmitglieder sind durch eine Gruppe von Totenbüchern und „Bücher vom Atmen“ sowie einigen demotischen Graffiti über nunmehr insgesamt acht Generationen hinweg belegt. Auf der Mehrheit der Funerärpapyri befinden sich genealogische Angaben mit Amtsbezeichnungen der Vorfahren, auf deren Basis Coenen einen Stammbaum erstellte.23 Zu den von Coenen früher datierten Manuskripten zählt insbesondere pCologny CIV (pBodmer 104), den er um 200 v. Chr. ansetzt, zu den spätesten pTübingen 2012, den er in die 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. datiert. In paläografischer Hinsicht ist eine Datierung der Textabschrift auf pTübingen 2012 in das 1. Jh. v.–1. Jh. n. Chr. möglich und damit dürfte auch die Mumienbinde Cat. 1873.2 in diesem zeitlichen Rahmen verankert werden, was sie tatsächlich zu dem wohl „spätesten Zeugnis für Totenbuch-Texte auf Mumienbinden“24 machen würde.

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Spruch 174 (Pleyte)

Spruch 174 (Pleyte)

Spruch 133

Spruch 133

Spruch 173

Spruch 173